Wer einmal Zeuge einer gut inszenierten chemischen Reaktion gewesen ist, scheut den Magie-Vergleich vermutlich nicht. So mancher würde Ümit Özkütükcü also einen Zauberer nennen. Zumindest einen Illusionisten, der um die Wirkung mit Bedacht platzierter Effekte weiß. Er selbst lächelt solche Vergleiche höflich weg. Ümit Özkütükcü, der von seinen Mitarbeitern schon mal scherzhaft mit „Mr. Ö“ angesprochen wird, ist einfach einer, der gerne zeigt, was möglich ist.
Und einer, der sicher gut Tetris spielen kann. Viel Platz hat der Leiter der Anwendungstechnik derzeit nicht, um die Maschinen und Prüfgeräte seines Technikums unterzubringen. Die Nutzung jedes Winkels ist wohl durchdacht. „Wir schaffen es, auf kleinstem Raum sehr viel zu bewerkstelligen. Auch wenn Sicherheit immer an erster Stelle steht“, sagt Ümit Özkütükcü. Der Platzmangel hat seine Abteilung ein wenig zersplittert. Labor, Doppelschneckenextruder, Gummitechnikum, Zug- und Spritzgussmaschine befinden sich auf mehreren Etagen in den Gebäuden 12, 13 und 14. Eine kleine Misch- und Mahllinie steht in Gebäude 19 bereit. Zehn seiner zwölf Härteöfen durfte Ümit Özkütükcü in einem bereitgestellten Container auf dem Gelände unterbringen.
„Wir sind das Bindeglied zwischen Entwicklung und Kunde. Ein Großteil unserer Neuentwicklungen wird bei uns im kleinen Maßstab ausprobiert.“
Das „Überall ein bisschen vor Ort“-Sein hat aber auch Vorteile. Synergien mit anderen Abteilungen herzustellen und zu nutzen ist für Ümit Özkütükcü unabdingbar. „Wir mischen überall mit“, zwinkert er. Und auch sein eigenes, in den letzten Jahren stark gewachsenes Team strotzt vor Interdisziplinarität. In der Anwendungstechnik arbeiten Chemieingenieure, Laboranten mit Technikern und Chemikanten aus der Produktion, die ihr Fachwissen und Know-how kontinuierlich mit den anderen teilen. Ein Geben und Nehmen und ein fachlicher Facettenreichtum, von dem alle profitieren. Nicht zuletzt der Kunde. Denn vor allem für ihn ist die Anwendungstechnik da. „Wir sind das Bindeglied zwischen Entwicklung und Kunde. Ein Großteil unserer Neuentwicklungen wird bei uns im kleinen Maßstab ausprobiert. Die Tests werden bei uns je nach Anforderungen der Kunden zielgerichtet durchgeführt.“ Bei Schulungen von Kunden, unter anderem Compounder, führt Ümit Özkütükcü dann vor, was in den Tests spezifiziert werden konnte. „Der Kunde ist froh, nicht nur ein weißes Pülverchen von uns zu bekommen, sondern auch das Know-how: Was kann es, und wie setze ich es ein?“
Ümit Özkütükcü holt die Entwicklung zurück auf den Boden der Tatsachen. „Geht das überhaupt?“, diese Frage stellt der Chemieingenieur ziemlich oft, wenn er das Realisierungspotenzial von Ideen ermittelt oder neue Rohstoffe für Produkte im Entwicklungsstadium recherchiert. Anwendungstechnik, das sei auch viel „Trial and Error“. Ein Luxus, findet Ümit Özkütükcü, den man sich in diesem Bereich gönnen muss. Dass ein Mittelständler wie Brüggemann sich eine Anwendungstechnik leiste, sei dagegen alles andere als selbstverständlich – zumal Ümit Özkütükcü mit seinem Team Entwicklungs-, Analyse- und Testprozesse beider chemischer Bereiche bei Brüggemann abdeckt. Ümit Özkütükcü hat viele Einsatzorte.
Zum Beispiel am Doppelschneckenextruder, wo im Kleinen compoundiert wird. Ein paar Etagen weiter wartet die Spritzgussmaschine. Hier wird aus vielen granularen Einzelteilchen ein visuell und haptisch Ganzes. Tortenverzieren und Plätzchenbacken für Fortgeschrittene. Das Ergebnis sind hochleistungsfähige Stäbe, Sichtplatten oder Zylinder aus Kunststoff. Prüfkörper, die nun in weitreichenden Tests, zum Beispiel in der Zugmaschine oder im Backofen beweisen müssen, ob sie die Eigenschaften haben, die das Kunststoffadditiv verspricht.
Das Primat der Anwendbarkeit, der Vermarktbarkeit gilt nicht immer in der Anwendungstechnik. Manchmal, wenn der anspruchsvolle Arbeitstag dann doch mal eine kleine Lücke lässt, nimmt und gönnt sich Ümit Özkütükcü die Zeit, um in kleinerer Runde ein bisschen „rumzuspinnen“, wie er sagt. In solchen Momenten mutmaßt er schon mal ganz fatalistisch: „Warum nicht? Das kann doch sicher funktionieren!“ In diesem Chemieingenieur steckt vielleicht kein Zauberer, in jedem Fall aber ein Forscher.